Projektarbeit in Mathematik - die Analyse

Irgendwie merkte ich seit geraumer Zeit, dass ich etwas an meinem Mathematikunterricht ändern musste. Während ich im Religionsunterricht viele interaktive Elemente einbaute, um den Dialog im Unterricht zu fördern, entwickelte sich der Mathematikunterricht immer mehr zu einer reinen Vorlesung. So entschied ich mich recht spontan, dieses Vorgehen komplett über den Haufen zu werfen.
Immer wieder stellte ich fest, dass sich die Schülerinnen und Schüler mathematische Zusammenhänge besser aneigneten, wenn sie diese von Grund auf selbstständig erarbeiteten.

Didaktische Überlegungen

Vorüberlegungen

Diese Erkenntnis ist nicht neu. Üblicherweise finden sich hierzu in Schulbüchern oder Internetportalen mathematische Aufgaben für den Unterricht, die meistens über mehrere Schritte zu lösen sind. In der Regel sind die Schritte auf einander aufgebaut, so dass der Weg zur Erkenntnis vorgegeben ist. Über vordefinierte Quellen erarbeiten sich die Schülerinnen und Schüler die Lösungen. Die Höhe der Transferleistung ergibt sich aus der Aufgabenstellung. Die Vermutung ist, dass über jenen Transfer, sich der Inhalt für die Schülerinnen und Schüler erschließt.

In der Theorie stimme ich dieser Meinung zu. Im Grunde basiert das Projekt auf diese Erkenntnis. Dennoch wehre ich mich gegen die typischen Aufgabenstellungen zu dieser Thematik, denn das Problem dieser Aufgaben ist, dass sie sehr konstruiert sind, so dass es kaum einen Alltagsbezug zur Schülerwelt gibt. Beispielsweise beschreibt eine Aufgabe den Fall, dass zwei Ziegen jeweils an einer Stange gebunden sind. Nun sollen die Schülerinnen und Schüler die Fläche berechnen, die die Ziegen jeweils nutzen können. Natürlich sprechen diese Aufgaben verschiedene Transferebenen an, aber mit der Alltagswelt der Schülerinnen und Schüler hat dies nichts zu tun. Aus diesem Grund laufen solche Aufgaben in ihrer Zielsetzung ins Leere.

Wenn über ein selbstständiges Erlernen ein wirklicher Lernerfolg stattfinden soll, dann geschieht dies nur über einen alltäglichen Bezug. Für das Thema lineare Funktion und lineare Gleichungen gehörte die Analyse von Handytarifen zu einer beliebten Übung. Die Aktualität und der Alltagsbezug ist immer noch gegeben, besonders durch die Vielzahl an Möglichkeiten, seinen Tarif zusammenzustellen. Dennoch ist dieser Bezug nicht für jede Klasse und Stufe geeignet, insbesondere wenn die Schülerinnen und Schüler keinen Einfluss auf den Erwerb eines Handys haben. Aus diesem Grund ist es von Bedeutung, die Lerngruppe zu kennen, um die Aufgabentypen auf diese abzustimmen.

Neben der Aufgabenstellung spielt die Methodik eine entscheidende Rolle, da sie den Grad der Dosierung der Aufgaben bestimmt. Ein Patentrezept gibt es nicht. Es gilt in die Lerngruppe reinzuhören, um die passende Methode zu erstellen.

Vorbereitung und Grundlagen

Wie so oft in der Praxis, ist das Auswerten dieses "Reinhörens" einfach nicht möglich. Die Datenlage ist nicht eindeutig. Diese Erfahrung machte ich ebenfalls. So war ich, was die Didaktik meines Unterrichtes anging, mit meinem "Latein" am Ende und besaß keine "Daten", um den Zustand zu ändern. Dennoch war ich mir sicher, dass es eine Lösung geben muss.

Um ein aussagekräftiges Ergebnis zu erhalten, dachte ich mir, setze ich auf ein eigenständiges Lernen in einer extremen Form. Dies bedeutet, dass die Schülerinnen und Schüler den Inhalt eines Themas komplett ohne mein Zutun erarbeiten sollten. Ich gab nur die Aufgabenstellungen und den Zeitplan vor. Nur in Ausnahmefällen nannte ich Quellen.

Den Alltagsbezug stellte ich in erster Linie dadurch her, dass ich alle Inhalte und Aufgabenstellungen Online zur Verfügung stellte. Ebenfalls durften die Schülerinnen und Schüler ihre eigenen Geräte (wie Smartphones und/oder Tablets) verwenden. Da die Lerngruppen in ihre Sozialisation sehr heterogen sind, war dies der kleinste gemeinsame Nenner. Daher verzichtete ich bewusst auf konstruierte Aufgabenstellungen.

Die Schülerinnen und Schüler durften sich selbst in Gruppen zusammenfinden. Ich gab nur die Gruppengröße vor.

Durchführung

Das Projekt führte ich in zwei Klassen durch. Der Aufbau war in beiden gleich:
  • Es gab eine Internetplattform, über die die Schülerinnen und Schüler alle Informationen zum Projekt einholen konnten (Jedes Projekt steht für eine Klasse.):
  • Die Schülerinnen und Schüler teilten sich in Gruppen ein. Sie gaben ihrer Gruppe jeweils einen Namen.
  • Jede Woche gab es eine neue Aufgabenstellung. Die Gruppen gaben ihr Ergebnis in einem gemeinsamen Dokument (analog als auch digital) am Ende einer Wochenaufgabe ab.
  • Aus jeder Gruppe trat eine Schülerin oder ein Schüler an, um die Kontrolltests durchzuführen. Die Kontrolltests fragten die Ergebnisse aus den Wochenaufgaben ab. Die Gruppe bestimmte zu jedem Kontrolltest eine andere Kandidatin oder einen anderen Kandidaten.
  • Nach zwei Kontrolltests schrieb jede Schülerin und jeder Schüler eine Leistungskontrolle zu diesen Kontrolltests.
  • Wochenaufgabe, Kontrolltest und Leistungskontrollen wurden bewertet. Der Kontrolltest wurde online und die Leistungskontrolle auf Papier durchgeführt. Ursprünglich war der Plan beide Kontrollen online durchzuführen, doch es fehlte an Rechnerkapaziäten.
    Wochenaufgabe und Kontrolltest ergaben zusammen die Projektnote. Die Leistungskontrollen wurden wie "einfache" Leistungskontrollen bewertet.
  • Insgesamt sollte es vier Wochenaufgaben mit vier Kontrolltests und zwei Leistungskontrollen geben.
  • Zwischendurch und am Ende des Projektes wurden die Schülerinnen und Schüler bezüglich der Durchführung der Projekte befragt (Online-Feedback-Bogen).

Auswertung aus Sicht der Lerngruppe

Grundlage für die Auswertung ist zum einen die Online-Umfrage, die ich in beiden Lerngruppen durchgeführt habe. Zum anderen sind es die Ergebnisse und Bewertungen aus den Kontroll-Tests und Wochenaufgaben, als auch die Gespräche, die ich mit den Schülerinnen und Schüler zu diesem Projekt geführt habe.
In der Online-Umfrage (die Umfrage habe ich geschlossen, daher hier eine PDF-Variante) hatten die Schülerinnen und Schüler die Möglichkeit, anhand einer Skala von 1 (trifft gar nicht zu) bis 5 (trifft voll und ganz zu) über vorformulierte Fragen, das Projekt zu bewerten.
Auf die einzelnen Auswertungen möchte ich nicht eingehen, da dies den Rahmen dieses Artikels sprengen würde, denn die Fülle würde einer Hausarbeit gleich kommen. Ich versuche aber die Ergebnisse als Diagramme nachzureichen. Leider finde ich gerade keinen Weg, die Zusammenfassung aus Google Formular für alle sichtbar zu machen, ohne dass im Vorgang die Ergebnisse "verfälscht" werden.

Beide Lerngruppen starteten mit einer hohen Motivation in die Arbeit, so dass jeweils die ersten Wochenaufgaben und die ersten Kontrolltests ein positives Ergebnis zeigten. Dies änderte sich mit der zweiten Wochenaufgabe. Während die Lerngruppe "Vierecke" hoch motiviert erschien, stellte sich bei der Lerngruppe "Dreiecke" eine leichte Ernüchterung ein. Den hauptsächlichen Grund für die gesunkene Motivation sehe ich in der Formulierung der Aufgabenstellungen. Dabei erhielt ich folgende Erkenntnisse:
  • Die Aufgaben müssen genau formuliert sein, d.h. keinen Spielraum für mögliche Interpretationen geben.
  • Die Aufgaben sollten möglichst nur einen Aspekt abfragen.
  • Die Aufgaben sollten "Schlüsselwörter" enthalten, die die Recherche zu relevanten Quellen führt.
  • Die Aufgaben müssen genau gegliedert sein, wenn diese Unterpunkte enthalten. Dies bedeutet, der Bezug zum Hauptpunkt muss gegeben sein.
Mit Hilfe der Auswertung der Online-Umfrage stellte ich fest, dass bei der Formulierung der zweiten Wochenaufgabe in dem Projekt "Dreiecke" alle diese Kriterien nicht konsequent berücksichtigt wurden. Bei den Schülerinnen äußerte sich dies dadurch, dass sie keine konkreten Inhalte bei ihren Recherchen fanden. Dies ging soweit, dass die anfängliche Motivation sich in Frustration wandelte.
In der Gruppe zum Projekt "Vierecke" schien ich diese Kriterien besser erfüllt zu haben, da die Inhalte gut zu recherchieren waren.

Aufgrund der Umfragewerte und den Rückmeldungen im Unterricht brach ich kurz vor Beendigung des Projekt "Dreiecke" dieses ab. Ich wollte nicht, dass die Schülerinnen und Schüler sich einen Inhalt nicht aneignen, weil Lernfrust sie daran hinderte.
Das Projekt "Vierecke" durchlief alle Etappen, wobei sich gegen Ende eine Lernmüdigkeit breit machte. Die Schülerinnen und Schüler als auch ich mussten feststellen, dass das Selbst-lernen eine hohe Konzentration benötigt. Diese Konzentration fehlte am Ende eines Tages.

In der Betrachtung des unterschiedlichen Verlaufs beider Projekte, beurteilten die Schülerinnen und Schüler den Lernerfolg dieses Projektes sehr differenziert. Die Lerngruppe "Dreiecke" hatte grundsätzlich nicht das Gefühl, dass sie im Vergleich mit einem "klassischen" Unterricht sich die Lerninhalte besser angeeignet haben. Die Gruppe "Vierecke" hatte diesbezüglich eine andere Wahrnehmung. Zeitweise sah sie darin ihre bevorzugte Unterrichtsform.

Beide Gruppen bestätigten, dass der Einsatz von Tablets und die Projekt-Webseite hilfreich waren. Somit sehen die Schülerinnen und Schüler den Einsatz von neuen Medien als sinnvolle Ergänzung bzw. Erweiterung des Unterrichtes an.
Trotz der verschiedenen Ausgänge sind sich beide Gruppen darin einig, dass die methodischen Elemente aus diesen Projekten dosiert in einem Unterricht übertragen, diesen durchaus verbessern kann. Alle Elemente nahmen die Gruppen in der späteren Reflektion als zu viel wahr.

In der Leistungsbewertung haben beide Gruppen im Durchschnitt mit "gut" das Projekt abgeschlossen. Wenn man bedenkt, dass die Inhalte komplett von den Schülerinnen und Schüler selbstständig angeeignet wurden, dann ist dies eine beachtliche Leistung beider Lerngruppen.

Auswertung aus meiner Sicht

Am Ende der Projekte stehen viele Erkenntnisse, die ich noch ordnen muss, aber mein "Latein" erweiterten. Einige Punkte möchte ich nennen:

  • Umso genauer ein Projekt durchdacht und geplant ist, desto besser die Ergebnisse für die Lerngruppen. Wichtig ist nur, dass alles "simple and smart" bleibt, d.h. wenige Konstrukte einbauen.
  • Die Zeit, die man für die Unterrichtsvorbereitung und -nachbereitung verwendet, verschiebt sich.
  • Schülerinnen und Schüler besitzen ein unbeschreibliches Gespür für die Analyse eines Unterrichtes. Diese Fähigkeit wird oft unterschätzt.
  • Aufgabenstellungen, die einen längeren Bearbeitungszeitraum bieten, kommen den Schülerinnen und Schüler entgegen, da sie diese mit ihren Freizeitaktivitäten besser vereinbaren können.
  • Die Koordinierung der Projekte über ein Webportal entsprach dem Bild der Schülerinnen und Schüler eines sinnvollen Einsatzes, da sie dieses Material überall "mitnehmen" konnten.
  • Lernkontrollen sind ein wichtiges Werkzeug, um Zwischenstände festzuhalten. Schülerinnen und Schüler haben eine Orientierung über ihren Stand und die Lehrkraft erkennt, ob die Vorbereitung ausreichend ist.
Ein Lernziel wurde mit den Projekten erreicht: Die Schülerinnen und Schüler lernten, dass das Wissen auf der Straße liegt (im Sinne der Datenautobahn).

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