Eigenständiges Lernen–die Beschreibung eines Prozesses

Vorgeschichte

Seit längerer Zeit experimentiere ich mit unterschiedlichen Lernformen für den Mathematikunterricht.
Grund für diese Versuche ist die Feststellung, dass ich mit dem herkömmlichen Verfahren die Schülerinnen und Schüler nicht erreiche. Da ich nicht der Meinung bin, dass dies an einem mangelnden Willen von Seiten der Schülerschaft liegt, sondern an der veränderten Art der Wissensaufnahme, war für mich der Schluss klar, dass ich etwas ändern muss. Somit setze ich mehr auf Methoden, die auf das eigenständige Lernen zielen, in der Annahme, dass dadurch Lerninhalte besser verinnerlicht werden.



Im Unterricht setzte ich hierzu verschiedene Methoden ein, um deren Wirkung nachvollziehen zu können:
  • über Übungshefte, die ich erstellt habe, sollten die Schülerinnen und Schüler eigenständig den Sachverhalt erlernen und üben.
  • die Erklärungen an der Tafel versuchte ich auf ein zeitliches Minimum zu beschränken, so dass diese eher als Impuls zu sehen sind.
  • regelmäßige Lernkontrollen sollten eine Überprüfung des Wissensstandes für Schülerinnen und Schüler und mich gewährleisten.
  • Verweise auf Materialien im Internet sollten das Lernen ergänzen.
  • Die Hausaufgaben wurden als Wochenaufgaben deklariert, damit ein eigener Rhythmus des Lernens entsteht und eine korrigierte Rückmeldung erfolgt.
Hierbei stellte ich verschiedene Korrelationen fest:
  • (K1) umso mehr die Wissensvermittlung an der Tafel erfolgt, desto weniger Schülerinnen und Schüler verinnerlichen den Inhalt.
  • (K2) umso freier die Aufgabenstellung zum eigenständigem Lernen ist, desto weniger wird gezielt gelernt.
  • (K3) umso weniger Leistungskontrollen und Übungen als Vorbereitung verstanden werden, desto mehr wird nur “temporär” gelernt.
  • (K4) umso geringer die Rückmeldung zu einer Leistung ausfällt, desto weniger wird das Üben als verbindlich angesehen.
Fazit: Das eigenständige Lernen befähigt die Schülerinnen und Schüler, Lerninhalte zu verinnerlichen. Voraussetzung ist die Vorgabe eines Rahmens, damit dieses Lernen nicht “ausufert”. Außerdem ist es nicht unerheblich, das Lerntempo zu berücksichtigen.

In Form gegossen

Mit meiner aktuellen Klasse nutzte ich die Gelegenheit, meine Erkenntnisse in ein Projekt “Winkel und Dreiecke” zu bündeln.
Um dieses Projekt näher zu beschreiben, arbeite ich mich an den Korrelationen ab:
  • (K1) In vorherigen Unterrichtszenarien stellte ich zwar das eigenständige Lernen in den Vordergrund, dennoch verfiel ich dann in das “alte” Muster zurück, ausschließlich an der Tafel zu erklären. Es schien in den Momenten der bessere Weg zu sein. Die Klassenarbeit berichtete von einem anderen Eindruck. Somit zwang ich mich für dieses Projekt, eine Erklärung so zu strukturieren, dass diese maximal 20 Minuten benötigte.
  • (K2) Das Projekt gliederte ich in Unterthemen. Jedes dieser Themen setzt sich aus vier Arbeitsbereiche zusammen: Lernziele, Arbeitsblätter, interaktive Übung/Erklärung, Quellen. Die Lernziele dienten der inhaltlichen Eingrenzung. Die Arbeitsblätter und interaktive Übungen dienten der Verinnerlichung der Inhalte. Über die Quellen wurden diese Inhalte vermittelt. Wichtig war für mich, dass diese Gliederung für alle Themenbereiche gleich ist, so dass ein “Muster” für die Schülerinnen und Schüler zu erkennen ist.
  • (K3) Ein Projekt ohne regelmäßige Kontrolle verläuft sich. Daher setzte ich bei den vorherigen Umsetzungen auf wöchentliche Leistungskontrollen und bewerteten Wochenaufgaben. Dies hatte den Effekt, dass die Schülerinnen und Schüler punktuell für die Leistungskontrollen und Wochenaufgaben lernten und danach das Gelernte wieder verloren ging.
    Für das Projekt schaltete ich jede Woche Übungen für das entsprechende Thema frei, die in der Klasse zu bearbeiten waren. Den zeitlichen Rahmen für die Bearbeitung setzten die Schülerinnen und Schüler für sich fest. Sie durften diese ebenfalls in Partnerarbeit bearbeiten. Die Übungen sammelte ich ein und bewertete diese. Für jede Übung gab es zwei Versuche. Zu einem bestimmten Datum musste jede Schülerin und jeder Schüler alle Übungen mindestens ein Mal bearbeitet haben. Somit wurden die Wochenaufgaben auf die Übungen gebündelt und der Charakter der Leistungskontrolle entschärft, so dass diese mehr als Vorbereitung wahrgenommen wurden. Es liegt in der Natur der Sache, dass eine Übung in der Gruppe dazu verleitet, andere das eigene Arbeitsblatt bearbeiten zu lassen. Dies war durchaus der Fall. Nach der Klassenarbeit zeigte sich deutlich, welche Schülerin und welcher Schüler wirklich eigenständig diese Übungen absolvierte.
  • (K4) In den vorherigen Unterrichtsszenarien hörte ich immer wieder heraus, dass die Schülerinnen und Schüler eine Rückmeldung auf die erledigten Aufgaben schätzen, da sie dadurch ihren Lernstand überprüfen konnten. Somit setzte ich auf bewertete Übungen. In diesem Projekt nennen sie sich noch Leistungskontrollen.
Aufgrund der Krankheitswelle musste ich das letzte Thema auf der Liste für die Klassenarbeit streichen. Außerdem musste ich bei den Linien etwas in die “Trickkiste” greifen, so dass die Mitte über das Geodreieck zu ermitteln war. Diese Konstruktion holte ich nach der Klassenarbeit nach.

Resümee

Das Projekt war ein Erfolg. Zum ersten Mal kann ich dies behaupten. Die Klassenarbeit fiel deutlich besser aus, als die vorherigen. Und die Schülerinnen und Schüler meldeten zurück, dass sie vorbereiteter an die Klassenarbeit gingen. Bei einigen hatte ich das Gefühl, dass sie der Ehrgeiz gepackt hat. In den vorherigen Umsetzungen bzw. Versuchen musste ich immer kleinere Abstriche machen.
Aus diesem Grund entstand das neue Projekt “Rationale Zahlen”.


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